Mich mit den Krankheiten respektieren

Es gab eine neurochirurgische Klinik, in der ich mich gut aufgehoben fühlte und wo mir die Schwestern sehr am Herzen lagen. Eine davon sagte mir damals »Sie laufen aber wirklich jedem vollbeladenen LKW hinterher, der Krankheiten transportiert, um noch was abzubekommen, oder?«

Zu genau dieser Zeit wurde überprüft, ob all die Raumforderungen in meinem Körper eine Form von Krebs darstellen. Ist schon ein „paar“ Jährchen her…

Ich habe damals herzhaft gelacht mit ihr. Ja, ich fand es total witzig, denn irgendwie scheint wirklich kaum eine Krankheit vor mir Halt zu machen.

Heute finde ich es nicht mehr witzig, denn meine Einstellungen zu meinen Krankheitsbildern haben sich geändert. Ich glaube, ich hab damit begonnen, mich – mit den Krankheiten – ernst zu nehmen.

Gestern habe ich einen Beitrag verfasst, der mir zeigt, dass ich angefangen habe, mich MIT meinen Krankheiten zu respektieren. Die meiste Zeit meines Lebens konnte ich das nur, wenn ich meine Krankheiten leugnete. Wenn ich mich nach außen hin als gesund darstellte, konnte ich daran glauben, jemand zu sein: eine vollwertige Persönlichkeit.

Die Krankheiten anzunehmen und in mir zu integrieren, war ein Prozess. Ich glaube, er ist noch immer nicht ganz abgeschlossen, der soeben verlinkte Beitrag zeigt mir aber, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

(edit im September 2023 – Zwischenanmerkung: Der verlinkte Beitrag scheint irgendwann von mir selbst gelöscht worden zu sein)

Und noch etwas geht mir durch den Kopf:

Fast mein ganzes Leben habe ich meine Energien darin investiert, die Krankheiten zu leugnen. Hat das vielleicht sogar mit dazu beigetragen, dass meine autoinflammatorische Erkrankung einen so derartigen Schaden in meinem Körper anrichtete?

Ich muss hinzufügen, dass ich Körper und Psyche als eine Einheit sehe. Beides steht in einer unentwegten Wechselwirkung. Wie sehr das bei mir der Fall ist, zeigen auch meine dissoziativen Konversionsstörungen, die ja rein psychosomatisch sind.

Doch welchen Einfluss hat die Psyche, konkret die Leugnung auf die SAPHO Erkrankung (gehabt)? Mich in der Umwelt – auch auf der Arbeit, als ich dieser noch (trotz Schwerbehinderung) nachgegangen bin – als gesund oder zumindest voll einsetzbar darzustellen, hat so unfassbar viel Stress erzeugt. Ich habe mich mit Medikamenten zugeschüttet, um so viele Reisen wie möglich zu verkaufen und den Urlaub, den der Kunde plante, in den schillerndsten Farben zu beschreiben. Die Dissoziation war mein allerbester Freund, bis ich dann in eine Starre verfiel und ins Krankenhaus kam. Nichts ging mehr!

Diesen Moment habe ich im Nachhinein im Tagebuch festgehalten:

Meine Erlebnisse in diesen Tagen wirken noch heute wie ein Trauma und es fällt mir schwer, den Zustand, in dem ich mich befand, SO zu beschreiben, dass ihn der Leser nachvollziehen kann.
Ich war wach und „da“, jedoch vom Körper vollständig abgetrennt.
Dieser Körper, dem ich einst den Krieg erklärt hatte, war komplett bewegungsunfähig. Ich konnte mich nicht mal im Ansatz artikulieren. Wahrscheinlich wirkte ich auf die Ärzte, die während der Visite um mein Bett herum standen, ähnlich wie eine Wachkomapatientin. Aber ich war hellwach. Die Schmerzen waren nach wie vor da, auch hatte ich innere Krämpfe, aber es war mir in keiner Weise möglich, mich zu verständigen.
Ich konnte sogar die Gesichter sehen, die Augen, die Sprachlosigkeit erkennen, vor allem wieder diese Hilflosigkeit, ein bedrohliches Schweigen, gerad so, als geben sie mich auf.
 
Im Inneren tobte mein Gemüt, ich rief lautlos: „Bitte, ich bin da. Gebt mich bitte nicht auf! Ich bin wach!“
Aber für die Ärzte wirkte ich leblos, auch wenn sie natürlich wussten, dass ich nicht tot bin.
Mit gesenktem Haupt gingen sie zum nächsten Bett. Keiner hatte mich gehört, selbst meine Augen waren nicht mehr meine, sondern vollkommen leblos, insofern konnte ich mich nicht einmal mehr damit artikulieren.
 
Dann, nach und nach, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf mein Innerstes. Ich fing an, mit meinem Körper und meiner Psyche zu reden und zu verhandeln. Zuerst wütend, dann verbittert, verzweifelt, dann resignierend, und am Ende kapitulierend. Ich erklärte den Krieg gegen meinen Körper als gescheitert und versprach lautlos, dass ich ihn annehmen werde, wenn ich die Kontrolle darüber zurückerlangen darf.
Und tatsächlich entwickelte sich eine Kraft, mit der es mir gelang, Stück für Stück die Kontrolle zurückzuerobern…
Einige Tage später konnte ich mich wieder bewegen und forderte die Entlassung.

Einen Krieg führte ich mit ihm. Mit dem Körper, der zu mir gehörte. Mit meinem Körper. Wenn man mit seinem eigenen Körper einen Krieg führt, dann wird Abwehr aktiv. Und wogegen richtet sich bei einer autoimmunen oder autoentzündlichen Krankheit diese Abwehr? Richtig … gegen den eigenen Körper.

Dass Traumata für Schübe verantwortlich sind, ist bereits wissenschaftlich bekannt. Jede Art von Stress fördert den Krankheitsverlauf. Also auch der Stress, den ich mir mit der Leugnung selbst auferlegt habe.

Ich bin froh, endlich selbstbewusst sagen zu können, dass ich eine schwerbehinderte Frau bin. Ich bin deswegen nicht wertlos oder überhaupt weniger wert.

Man sagte mir mal, ich könne sehr stolz auf mich sein, denn was ich bewältigt habe ohne daran komplett zu zerbrechen, ist nicht selbstverständlich. Ich glaube, jetzt langsam begreife ich, was sie gemeint hat. —

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